
Die Geschichte der Bahn beginnt in Bebra in den 1840er Jahren
“Was, Sie wollen noch bis Afrika? Da müssen Sie aber erst mal in Bebra umsteigen!“
– Heinz Erhard als Friedrich Scherzer in „Witwer mit fünf Töchtern“ –
Bebra und Eisenbahn werden fast immer in einem Atemzug genannt. Selbst Menschen, die Bebra vielleicht nur dem Namen nach kennen und nicht einmal wissen, wo die Stadt überhaupt liegt, wissen häufig, dass Bebra „irgendetwas mit Bahn“ zu tun hat. Tatsächlich hat die Eisenbahn Bebra als Stadt überhaupt erst entstehen lassen und als Motor der Stadtentwicklung und der wirtschaftlichen Entwicklung nachhaltig geprägt.
Bedingt durch die Lage an einem der großen Knotenpunkte in Nord-Süd und Ost-West Richtung entwickelte sich der Bahnhofsstandort Bebra in einem für ein Städtchen dieser Größe enormen Ausmaß.
In Spitzenzeiten arbeiteten hier 4.000 bis 5.000 Menschen. Die bahnhofsbegleitenden Bauten und Anlagen begannen schon viele Kilometer vor der Stadt. Ursprünglich lag der Bahnhof am Nordostrand des Ortes. Mit den Jahren erlebte Bebra durch den Bahnhof ein extrem starkes Bevölkerungswachstum und dehnte sich vornehmlich mit Wohnbebauung nach Osten hin über das Bahngelände aus.
Aufgrund der Deutschen Teilung 1945 und des Wegfalls des innerdeutschen Bahnverkehrs nach der Wiedervereinigung 1989/1990, sowie durch strukturelle Veränderungen in der Organisation des Unternehmens Deutsche Bahn AG, spielt Bebra für die Bahn und die Bahn in Bebra heute keine der „guten, alten Zeit“ vergleichbare Rolle mehr. Viele der früheren Bahngebäude wurden bereits abgerissen, die verbliebenen Gebäude stehen weitgehend leer und befinden sich z.T. in einem schlechten Zustand.

Die Bahn ist im kollektiven Stadtbewusstsein immer noch stark verwurzelt, der Bahnhof und seine Gebäude haben in Bebra stark symbolischen Charakter.
Eine professionell moderierte Motivation- und Konzeptionsphase mit starker öffentlicher Beteilung aller Bevölkerungsgruppen läutete im Herbst 2013 den Beginn eines intensiven Auseinandersetzungsprozesses darüber ein, ob und welche Bedeutung dem Bahnhof und der Bahn auch ohne den Arbeitsplatzmotor künftig beigemessen wird bzw. werden soll.
“Zivile“ Nutzung der Bahnhofsbauten

Im Fokus der Öffentlichkeit steht natürlich das Bahnhofsgebäude selbst, aber auch der denkmalgeschützte Lokschuppen II und das Kesselhaus mit Schornstein sollen erhalten werden.
Bereits jetzt laufen umfangreiche infrastrukturelle Maßnahmen wie die Erneuerung der Bahnsteige und der Fußgängerunterführung, aber auch der Bau von umfangreichen Park-and-Ride-Parkplätzen. Diese Maßnahmen unterstützen die Bemühungen nach Reaktivierung und Neunutzung der genannten Flächen und Gebäude.
Das Inselgebäude
Das Ende der 1880er Jahre in der heutigen Größenordnung erbaute Bahnhofsgebäude liegt als Inselgebäude zwischen den Bahnsteigen. Die Abmessungen betragen 124 m Länge und 11 bis 13 m Tiefe, die Gesamtnutzfläche beläuft sich auf ca. 2.600 m2. Derzeit werden die Bahnsteige, die Schutzdächer und die Fußgängerunterführung umfangreich saniert bzw. erneuert.
Durch den Einbau von Fahrstühlen in die Bahnsteige wird der Bahnhof künftig auch mobilitätsgerecht zu erreichen sein. Am Gebäude selbst werden noch keine Arbeiten ausgeführt. Das Gebäude steht völlig leer, eine weitere Nutzung in der zur Verfügung stehenden Gesamtfläche und auch in Teilflächen durch die Bahn steht nicht zur Diskussion. Die Eigentümerin, die DB Station & Service AG, erwog bereits einen Abbruch des Gebäudes.
Das Massivgebäude ist in der Grundbausubstanz in einem guten Zustand, bedarf aber umfassender Sanierungen in energetischer, haustechnischer und brandschutztechnischer Hinsicht um den aktuellen Anforderungen zu entsprechen.

Zustand während der Bauzeit an den Bahnsteigen 2013

Zustand während der Bauzeit an den Bahnsteigen 2014
Seit nunmehr 10 Jahren wurden verschiedene Szenarien für einen Erhalt des Inselgebäudes entwickelt.
Durch die nach dem Umbau der Bahnsteige und der Fußgängerunterführung nunmehr barrierefreie Erschließung des Bahnhofsgebäudes rückt die Immobilie wieder stärker in das Interesse der Bevölkerung und der Gewerbetreibenden.
In jüngster Zeit gab es Erfolg versprechende Gespräche bezüglich der Nutzung von Büroflächen. So haben die Agentur für Arbeit sowie die „cantus Verkehrsgesellschaft mbH“ konkretes Interesse signalisiert. Weitere Flächen können von der Stadtentwicklungsgesellschaft Bebra für ein Bürgerbüro und eine TouristInfo genutzt werden.

Mit diesen drei Dienstleistern als „Trittbrett“, sollte es gelingen, die verbleibenden Büroflächen in naher Zukunft vermarkten zu können. Denkbar ist auch die Abgabe kleinerer und preisgünstiger Raumeinheiten nach Art eines Gründerzentrums.
Verschiedene Vereine und Gruppierungen der Stadt haben Bedarf an Räumlichkeiten gemeldet. Sie könnten in einem Bereich des Gebäudes als Vereinszentrum zusammengefasst werden.
Ob es gelingt, die ehemals prachtvolle Bahnhofsgastronomie wieder in Funktion zu bringen, werden künftige Gespräche zeigen. Alternativ können die Flächen museal genutzt werden.

Dampftage 2012
Lokschuppen II und Kesselhaus
Der Lokschuppen II, vor Jahrzehnten bereits von doppelter Größe auf sieben Tore zurück gebaut, befindet sich baulich in einem schlechten Zustand. Nur durch baldige Sicherung kann dieser für kommende Generationen erhalten werden.
Mit durch das Programm Stadtumbau in Hessen bereitgestellten Geldern sowie ergänzenden EFRE-Mitteln beginnt im zeitigen Frühjahr 2015 die statisch konstruktive Sicherung des Gebäudes durch Sanierung des Dachtragwerks, der Dacheindeckung sowie schadhafter Torstürze und Mauerwerksteile. Der weitere „Innenausbau“ ist noch nicht finanziert.

Der Lockschuppen II

Das Kesselhaus
Verglichen mit dem Lokschuppen befindet sich das nebenstehende Kesselhaus mit Schornstein in einem gutem Zustand, bedarf aber zum weiteren Erhalt ebenfalls dringender Sanierungsarbeiten. Beide Gebäude stehen leer und befinden sich
im Eigentum der Stadt Bebra. Zusammen mit der dem Lokschuppen vorgelagerten Drehscheibe einschließlich Gleisfächer und dem zwischen den Gebäuden liegenden Betriebshof bilden sie eine Einheit als technisches Denkmal.
Der Weg von der neu angelegten Stellplatzanlage auf der Ostseite zum Bahnhof führt unmittelbar an Lokschuppen und Drehscheibe vorbei und bietet Anlass die Einheit der Anlagen zu inszenieren.

Der Lokschuppen II mit Kesselhaus und Gleisfächer ist prädestiniert für eine Kombination aus Museum, lebendiger Schauwerkstatt und Veranstaltungsflächen. Ein Teil des Lokschuppens soll den Raum für den in Bebra lange gehegten Wunsch nach einer Ausstellung zum Thema Eisenbahngeschichte und der Arbeit bei der Bahn abgeben. Exponate sind
bereits zahlreich in Einzelsammlungen vorhanden und warten auf eine sinnvolle Zusammenführung.
Ein Teil des Lokschuppens kann als Ausstellungsfläche für Großexponate dienen. Komplette Loks mit Waggons können hier
präsentiert werden. Ein weiterer Teil des Gebäudes dient, mit fließenden Übergängen zum Museum, als Veranstaltungsfläche.
Das Kesselhaus kann ebenfalls als Museumsfläche oder aber auch als Gastronomie im technischen Ambiente dienen. Von hier aus könnte das „Bebraer Dampfbier“ seinen Weg zu den Feinschmeckern nehmen. Die zughörigen Freiflächen ergänzen das Ensemble für Präsentationen, Ausstellungen und Veranstaltungen im Außenbereich.
Bereits mehrfach fanden die äußerst erfolgreichen und publikumswirksamen „Bebraer Dampftage“ statt. Durch die laufenden Umbauarbeiten an den Bahnsteigen sind sie derzeit ausgesetzt. In Zukunft können sie in idealer Weise um diese Flächen ergänzt werden.
Ausstellungsflächen
In den Jahren der deutschen Teilung war Bebra einer der wesentlichen Grenzübergangsbahnhöfe für Interzonenzüge in die DDR, Transit- und Militärzüge der Westmächte nach West-Berlin und selbstverständlich auch Güterbahnhof für deutsch-deutschen Güterverkehr. In Bebra wurden die Züge der Deutschen Bundesbahn mit Lokwechsel an die Deutsche Reichsbahn übergeben und umgekehrt, hier fand die zollamtliche Überwachung statt, hier war Grenzkontrollstelle, hier war eine der Haupt
Poststellen für den deutsch-deutschen Postverkehr.


Über Bebra wurde 1970 der Sonderzug des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt zum ersten Gipfeltreffen mit dem Ministerratsvorsitzenden der DDR, Willi Stoph, abgewickelt. Auch Stophs Gegenbesuch in Kassel erfolgte über den Grenzbahnhof Bebra. Bebra möchte sich im Rahmen eines Grenz- oder Interzonenmuseums dieser Zeit annehmen und
eine dauerhafte Dokumentation und Ausstellung in den ehemaligen Bahnhofsgebäuden inszenieren.
Hierzu bieten sich neben dem Lokschuppen auch die möglichen Ausstellungsflächen im Inselgebäude an. Der Bahnhof Bebra bietet die Voraussetzungen, die Geschichte der Bahn, insbesondere aber auch die deutsch-deutsche Geschichte der jüngeren Vergangenheit am Originalschauplatz erlebbar zu dokumentieren und zu bewahren.
Ausblick
Die Mythen umwobene Geschichte der Eisenbahn als Glücksbringer für Städte und Regionen, am Beispiel Bebra kann man sie in all ihren Facetten bestätigt finden. Da schießt ein Bauerndorf innerhalb eines halben Jahrhunderts zu einer prosperierenden Stadt empor und stürzt ein weiteres Jahrhundert später jäh ab, denn leider hatte der Motor der Prosperität nur einen Kolben…… Bebra hat alle Hände voll zu Tun, verlorenes an anderer Stelle und mit anderen Mitteln zu Ersetzen. Das alte Füllhorn schüttet nichts mehr aus. Die demographischen Prognosen für Bebra sprechen von Bevölkerungsverlusten im Bereich von bis zu 20 % bis zum Jahre 2030. Ist es da vermessen, für 2050 wieder von Boomtown zu sprechen?
Nein! Seit Jahren forciert Bebra die Ansiedlung neuer Dienstleistungen, neuen Gewerbes und neuer Industrie. Mit den Partnerkommunen Rotenburg a.d. Fulda und Alheim wurde die Interkommunale Kooperation Pro Region Mittleres Fuldatal gegründet. In der gemeinsamen Beteiligung am Stadtumbau in Hessen, in der engeren Zusammenarbeit in den Kommunalverwaltungen, in den gemeinsamen Bemühungen zur Unabhängigkeit von fossilen Energien, in der Ausweisung von Flächen zur Solar- und Windenergiegewinnung aber auch in vermeintlich kleinen Dingen wie gemeinsame
Seniorenarbeit und Gesundheitsfürsorge spricht man eine Sprache und hat bereits gute Erfolge erzielt.
ZuBRA ist ein mittlerweile gut bekanntes Synonym für „Zukunft in Bebra Rotenburg und Alheim“ und zeigt, dass die Region von ihren Bewohnern nicht aufgegeben wird. Zu einer funktionierenden Region gehört immer auch ein Bewusstsein für eigene Geschichte und Traditionen. Hier kommt Bebra nicht an der Eisenbahn vorbei.
Die Spuren der Bahn sind buchstäblich tief in die Stadt und die Landschaft, aber auch in die Seelen der Menschen eingegraben. Es gibt wohl kaum eine Familie, wo nicht mindestens ein Mitglied bei der Bahn direkt, andere im unmittelbaren Umfeld der Zulieferer oder Dienstleister beschäftigt war. Das dieser Ort mit Herzblut „seine“ alten Gebäude erhalten, wieder mit neuen Inhalten füllen und diese damit inszenieren möchte, ist mehr als natürlich.
Abriss ist keine Alternative! Die Bahnanlage würde zu einem reinen Ankunfts- und Abfahrtsort verkommen, zu einem Ort der Eile und Hetze, ein „Unort“, an dem man sich nicht länger, als zwingend notwendig aufhält. Hat man das nicht schon mal gesehen? War das nicht in „Spiel mir das Lied vom Tod“?
Bebra hat sich für einen andern Weg entschieden, in den alten Bahnhof soll neues Leben einziehen. Bei der schieren Größe des Inselgebäudes und dem Zustand des Lokschuppens eine große Aufgabe. Viel Mühe ist schon in das Projekt geflossen, um überhaupt den heutigen Stand zu erreichen. Aus dem Stadium der sentimentalen Träume ist man in Bebra aber schon lange heraus. Die aufgezeigten Nutzungen sind allesamt realisierbar und würden den Bahnhof wieder fest in das Stadtgeschehen einbinden. Die notwendigen Finanzen freilich kann die Stadt nicht allein aufbringen und bewirbt sich hiermit um die Bereitstellung von Fördergeldern.
Nach Königen und Kaisern und Millionen von Interzonenreisenden und
Transitpendlern von und nach Berlin, nach Willy Brand und Willi Stoph, nach den hoffnungslos überfüllten Zügen der Ausreisewelle nach der Wiedervereinigung, Bebra macht Geschichte anfassbar und damit zukunftsfähig.
